Handwerksbetriebe im Kreis Steinfurt wünschen sich von der Politik differenzierte Ausbildungsgänge für Höherqualifizierte und einen stärkeren Fokus auf technische Themen in der Schule. Andererseits fordert die Politik, dass das Handwerk die Chancen und Möglichkeiten, die sich dort für junge Menschen bieten, noch deutlicher nach außen trägt. Das ist das Ergebnis eines Kontaktgesprächs mit Vertretern von Handwerk und Politik bei der Firma Willers, Heizung, Klima, Sanitär, Lüftung in Rheine. Der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/ Grüne Norwich Rüße und Jan-Niclas Gesenhues, Sprecher der Grünen-Fraktion im Kreistag, tauschten sich mit den Gastgebern, Stephan Willers und Antje Willers-Hecking sowie Frank Tischner, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf, über aktuelle Herausforderungen des Handwerks aus. Die Palette der Themen reichte von der Überbürokratisierung der Arbeitswelt bis hin zur Gleichstellung von beruflicher und akademischer Ausbildung.
„Wir brauchen auch im Handwerk differenzierte studienorientierte Ausbildungsgänge“, betonte Stephan Willers, Geschäftsführer der Gebr. Willers GmbH & Co. KG mit Sitz in Rheine. Das sei die einzige Möglichkeit, Handwerksberufe auch für Absolventen mit höherem Schulabschluss attraktiv zu gestalten und qualifizierte Fachkräfte an den ländlichen Raum zu binden, so der Unternehmer. Die erforderlichen Rahmenbedingungen müsse die Politik schaffen. Dabei sei zum Beispiel die Ausbildung im SHK-Gewerbe angesichts von Smart Home und intelligenter Haustechnik sehr anspruchsvoll geworden. „Wir brauchen qualifizierte junge Menschen“, so Stephan Willers. Er kritisierte eine auszumachende Technikferne in den Schulen. Schüler hätten heute kaum mehr die Möglichkeit, sich mit technischen Zusammenhängen vertraut zu machen. Zudem sei es heute eine große Herausforderung, junge Menschen auf längere Sicht an Unternehmen zu binden. „Wir müssen unseren Mitarbeitern Perspektiven bieten und das geht nicht allein über das Gehalt“, sagte Antje Willers-Hecking.
KH-Hauptgeschäftsführer Frank Tischner forderte eine weitergehende Gleichbehandlung von beruflicher und akademischer Bildung als bisher. So sei es nicht nachvollziehbar, dass das Land Nordrhein-Westfalen umgerechnet je Student mehr als 6.500 Euro investiere, während es sich einen Ausbildungsplatz innerhalb der dualen Ausbildung gerade einmal etwas mehr als 2.000 Euro kosten lasse. Der KH-Hauptgeschäftsführer forderte von der Politik, stärker in die berufliche Bildung zu investieren und zum Beispiel die Berufsschulen finanziell besser auszustatten. Die erfolgte Gleichstellung des Meistertitels im Handwerk mit dem Bachelor-Abschluss innerhalb des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens sei ein Schritt in die richtige Richtung, so Frank Tischner.
Norwich Rüße appellierte an die Vertreter des Handwerks, das Image ihres Wirtschaftszweiges zu verbessern. Junge Menschen hätten oft keine Vorstellung davon, welch qualifizierte Berufsfelder und auch finanziell lukrative Möglichkeiten das Handwerk biete. „Viele kennen noch alte Sprüche über das Handwerk wie ,Lehrjahre sind keine Herrenjahre’. Das schreckt junge Menschen heute ab“, berichtete Jan-Niclas Gesenhues aus persönlichen Erfahrungen. Wobei hier das Handwerk seit Jahren eine bundesweite Image-Kampagne durchführt, um genau diesen Vorstellungen entgegenzuwirken. Zudem zeige die gesellschaftliche Entwicklung, dass junge Menschen immer weniger Interesse an der Selbstständigkeit hätten. „Sie haben heute andere Lebensmodelle vor Augen“, so Norwich Rüße. Demgegenüber stehen auch im Kreis Steinfurt eine Vielzahl von Handwerksbetrieben, deren Inhaber 60 Jahre und älter sind, wie Frank Tischner erinnerte.
Der KH-Hauptgeschäftsführer monierte einen Akademisierungswahn in der Gesellschaft. „Wir dürfen nicht immer neue Studienangebote schaffen, die letztlich am Bedarf der Wirtschaft vorbeigehen“, mahnte er. Stephan Willers forderte, angesichts verkürzter Schul- und Studienzeiten die Qualität der Ausbildung nicht zu vernachlässigen. „Der Faktor Zeit ist in der Ausbildung eine ganz wichtige Komponente. Es tut jungen Menschen gut, eine gewisse Zeit in Schule und Ausbildung zu verbringen“, so der Geschäftsführer. Norwich Rüße kündigte an, dass sich die Grünen-Fraktion im Landtag für Veränderungen der gymnasialen Schulausbildung ausspreche, so dass Eltern und Kinder an den Gymnasien zwischen dem Abitur nach acht oder neun Jahren wählen könnten.