Der Bundestag hat die Einführung eines Azubi-Mindestlohns im nächsten Jahr beschlossen. Auszubildende im ersten Lehrjahr sollen dann mindestens 515 Euro im Monat bekommen. Der Betrag wird in den folgenden Jahren schrittweise weiter erhöht auf bis zu 620 Euro monatlich im ersten Lehrjahr. Auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr gibt es mehr. Ab 2024 soll der Azubi-Mindestlohn dann automatisch mit der Entwicklung der Lehrlingsgehälter steigen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek will mit dem Gesetz die Berufsausbildung attraktiver machen und die Zahl der Ausbildungsbrecher verringern.
„Das Ziel ist löblich, der mit diesem Gesetz eingeschlagene Weg führt aber nicht dorthin“, meint Frank Tischner, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf, in deren Einzugsbereich sich rund 4.500 junge Menschen in einer handwerklichen Ausbildung befinden. Für die meisten Ausbildungsberufe im Handwerk, die die überwiegende Mehrzahl der Auszubildenden stellen, wird jetzt schon mit der tariflichen Ausbildungsvergütung teilweise deutlich über den im nächsten Jahr geltenden Azubi-Mindestlohn gezahlt. „Selbst im Friseurhandwerk, das für die Befürworter einer Mindestlohn-Lösung immer für eine Horror-Meldung gut ist, liegt die Ausbildungsvergütung in Nordrhein-Westfalen bereits heute mit 540 € im ersten Ausbildungsjahr über der Mindest-Ausbildungsvergütung. Im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen ist dies vielleicht wenig, aber die Zahl der Ausbildungsabbrüche bei den Friseuren ist daher nicht höher als in anderen Branchen“, erklärt Tischner. Für ihn ist es ein deutliches Zeichen dafür, dass die Höhe der Ausbildungsvergütung nicht ausschlaggebend für einen Ausbildungsabbruch ist.
Anders als bei der Mindestlohn-Debatte dargestellt wird, ist nach Auffassung des Handwerks eine Ausbildungsvergütung kein Lohn, sondern vielmehr ein Zuschuss zum Lebensunterhalt. „Sie dient nicht der Absicherung des Lebensunterhaltes“, führt der KH-Hauptgeschäftsführer aus. „Dafür gibt es das Kindergeld und andere soziale Leistungen. Der Grund für diese Differenzierung ist, dass Auszubildende keine voll einsatzfähigen Arbeitskräfte sind. Sie lernen noch und befinden sich im Rahmen der dualen Berufsausbildung nicht ausschließlich am Lernort Betrieb. Im Handwerk kommt neben dem Besuch der Berufsschule auch noch die verbindliche Teilnahme an Überbetrieblichen Lehrgängen in handwerklichen Bildungszentren hinzu. Die Kosten dieser Lehrgänge werden von den Ausbildungsbetrieben getragen. Wenn sich die Einsatzmöglichkeiten der Auszubildenden während der Lehrzeit vergrößern, steigt im Übrigen auch die Ausbildungsvergütung. Und nach der Gesellenprüfung hat der Lohn ein ganz anderes Niveau.“
Frank Tischner glaubt nicht daran, dass die gesetzliche Regelung in Form einer Mindestausbildungsvergütung der dualen Ausbildung helfen wird. „Mit den beschlossenen Steigerungen des Mindest-Azubi-Lohns gehen Ausbildungsplätze in Klein- und Kleinstbetrieben und solchen, die sehr personalintensiv arbeiten, dauerhaft verloren. Friseure beispielsweise, in deren Preiskalkulation vor allem die Personalkosten zu Buche schlagen, werden die zunehmenden Kosten einer Ausbildung nicht durch Preiserhöhungen an die Kunden weitergeben können. Da ist die Grenze der Verkraftbarkeit bald erreicht.“ Frank Tischner bestreitet nicht, dass im Osten der Republik das Niveau der Ausbildungsvergütungen teilweise sehr niedrig ist. Deshalb ist seiner Auffassung nach auch eine Differenzierung der Ursachen von Ausbildungsabbrüchen und von Maßnahmen wie die Festlegung einer Mindest-Ausbildungsvergütung notwendig. „Was in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg vielleicht angebracht ist, ist es noch lange nicht in NRW, Hessen oder Bayern“, so Tischner. „Die Anpassung von Ausbildungsvergütungen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation einer Branche einerseits und der Notwendigkeit, Berufsnachwuchs zu gewinnen, andererseits, sollte aber nach wie vor Sache der Sozialpartner sein. Von der Politik erwarte ich andere Hilfestellungen, die duale Berufsausbildung attraktiver zu gestalten und Gleichrangigkeit von betrieblicher, schulischer und akademischer Ausbildung zu schaffen.“